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Wohnen in Hamburg Mitte zu Corona Zeiten
Die soziale Krise ist noch lange nicht zu Ende
Von Michael Joho, Referent bei Heike Sudmann, MdHB
Bisweilen lässt sich in diesen Tagen der Eindruck gewinnen, als wenn wir mit Corona im Wesentlichen „durch“ seien. Doch unabhängig davon, ob uns eine zweite Pandemiewelle heimsucht, stehen wir gerade erst am Anfang der sozialen Auswirkungen, die uns noch lange beschäftigen werden. So belegen z.B. die jüngsten Zahlen der Arbeitsagentur, dass die Arbeitslosigkeit im Juni 2020 auf mittlerweile 87.775 Personen angewachsen ist, gut 3.300 mehr als im Mai 2020 (84.426) und satte 23.000 mehr gegenüber dem Vorjahresmonat Juni 2019 (64.691). Wer sich von den krisenhaften Entwicklungen in bestimmten Branchen ein Bild machen will, findet sehr viele aktuelle Daten unter https://www.statistik-nord.de/zahlen-fakten/corona.
Zu den problematischen Seiten der nächsten Zukunft wird mit Sicherheit die Wohnungsfrage zählen, über die eh schon bestehende allgemeine Wohnungsnot und den Mietenwahnsinn hinaus. Die SAGA beispielsweise hatte zu Beginn der Krise einerseits erklärt, coronabedingte Mietschulden zu stunden, was bis Juni von rund 2.820 Miet-Haushalten (ca. 2 %), aber bereits 266 GewerbemieterInnen vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel (ca. 20 %) in Anspruch genommen haben. Dies soll auch bis Jahresende so bleiben. Andererseits hatte die SAGA im März auch erklärt, auf geplante Mieterhöhungen wenn schon nicht zu verzichten – das ist eine der Sofortforderungen der Hamburger Linksfraktion -, sie aber vorerst auszusetzen. Damit ist nun seit Anfang Juli Schluss. Obwohl die Arbeitslosenzahlen steigen und durch die Insolvenz der Firma Backhus, den Stellenabbau bei Airbus und Kaufhof/Karstadt usw. sicher noch weiter in die Höhe schießen, verschickt Hamburgs städtisches Wohnungsunternehmen wieder munter Mieterhöhungen. Übrigens ganz ohne Not, worauf schon in der Juni-Ausgabe des „MitteNmang“ hingewiesen wude. Auf Mieterhöhungen in 2020 zu verzichten würde die SAGA 5,5 Millionen Euro kosten, ein Klacks gegenüber den 205,2 Millionen Euro Jahresüberschuss, die laut dem am 22. Juni 2020 vorgestellten „Geschäftsbericht 2019“ eingefahren werden konnten.
Für die Menschen im Bezirk Hamburg-Mitte sind das besonders schlechte Nachrichten, denn bekanntermaßen ballt sich hier ein erheblicher Teil der benachteiligten Menschen mit geringem Einkommen. Die Indikatoren SGB-II-Bezug und die Arbeitslosenrate liegen hier weit über den anderen sechs Bezirken: Ende 2018 lag der Anteil der SGB-II-EmpfängerInnen bei 15,6 %, im Hamburger Durchschnitt bei 9,9 %; der Anteil der Erwerbslosen lag zum gleichen Zeitpunkt im Bezirk Mitte bei 6,5 %, in Hamburg bei 4,8 %. Im Juni 2020 sind laut neuestem Bericht der Hamburger Arbeitsagentur (https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/hamburg/statistik) im Bezirk Mitte 19.489 Menschen erwerbslos gemeldet, das sind 10,5 % der Bevölkerung (in Hamburg 8,2 %).
Zwei noch relativ frische Papiere veranlassen mich, an dieser Stelle einige bezirksspezifische Daten für die Auseinandersetzung vor Ort zu liefern. Zum einen geht es dabei um die alljährlich von SchülerInnen des Gymnasiums Ohmoor erhobenen Daten zur Entwicklung der Neuvermietungsmieten in Hamburg. Ausgezählt wurden dafür alle im März 2020 im Immobilienportal Immonet angebotenen Mietwohnungen; für Hamburg beläuft sich die Zahl auf 4.096 anonymisierte Datensätze. Die Untersuchungsergebnisse wurden am 22. Juni veröffentlicht und sind im Netz zu finden unter https://gymnasium-ohmoor.hamburg.de/mietenentwicklung-in-hamburg/. Zum anderen ist schon in der Ferienzeit, am 3. Juli, die Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion zum Komplex „Auslaufen und Neubegründung von Mietpreis- und Belegungsbindungen“ (Drs. 22/442) eingetroffen, im Netz zu finden unter https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/70568/auslaufen_und_neubegruendung_von_mietpreis_und_belegungsbindungen.pdf. Aus den Anhängen dieser umfangreichen Drucksache sind die in der Tabelle angeführten Daten zu auslaufenden Mietpreisbindungen im 1. Förderweg versus Neuschaffung von Bindungen entnommen. Tatsächlich tauchen sowohl in der Ohmoor-Studie als auch in der Bürgerschafts-Drucksache nicht sämtliche der insgesamt 19 Mitte-Stadtteile auf. In Billbrook, auf dem Kleinen Grasbrook, auf Neuwerk, in Steinwerder und Waltershof gibt es einfach zu wenig bzw. keine Wohnungsbestände.
Mietenentwicklung und Mietpreisbindungen in den Wohnstadtteilen des Bezirks Hamburg-Mitte | ||||
| Durchschnittliche Neuvermietungspreise in €/qm im März 2020 (in Klammern Veränderung gegenüber Vorjahresmonat[1] | Entwicklung der Neuvermietungsmieten in €/qm in den Jahren 2000, 2010 und 2019[2] | Neugeschaffene Mietpreis- und Belegungsbindungen im 1. Förderweg zwischen dem 1.1.2010 und dem 31.5.2020[3] | Ausgelaufene bzw. auslaufende Mietpreis- und Belegungsbindungen im 1. Förderweg zwischen dem 1.1.2010 und dem 31.12.2020[4] |
Altstadt | 18,76 (- 9,8 %) | 9,10 – 11,77 – 20,79 | 5 | 101 |
Billstedt | 10,26 (- 7,7 %) | 6,41 – 7,22 – 10,77 | 719 | 5.151 |
Borgfelde | ? | ? | 380 | 81 |
Borgfelde/Hammerbrook | 14,71 (+ 14,2 %) | ? | ? | ? |
Finkenwerder | 9,11 (- 6,4 %) | ? | 0 | 354 |
HafenCity | 20,72 (- 0,1 %) | 0,00 – 16,29 – 20,74 | 701 | - |
Hamm | 11,68 (- 10,5 %) | 6,60 – 8,38 – 13,05 | 135 | 49 |
Hammerbrook | ? | ? | 335 | 0 |
Horn | 11,19 (+ 0,3 %) | ? | 1.097 | 1.804 |
Neustadt | 15,79 (- 4,4 %) | ? | 85 | 690 |
Rothenburgsort | 12,42 (+ 26,1 %) | ? | 382 | 58 |
St. Georg | 15,37 (+ 4,6 %) | 7,55 – 11,55 – 14,70 | 257 | 284 |
St. Pauli | 14,63 (- 11,1 %) | 7,84 – 10,54 – 16,45 | 187 | 904 |
Veddel | 10,40 (+ 8,3 %) | ? | 214 | 98 |
Wilhelmsburg | 10,39 (+ 4,8 %) | 5,71 – 7,42 – 9,91 | 1.107 | 2.457 |
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Hamburg | 13,45 (+ 1,6 %) | 8,14 – 10,25 – 13,24 | 23.879 | 47.578 |
In rot hervorgehoben sind jeweils die auffälligsten, auf Kosten der MieterInnen gehenden Veränderungen in den betreffenden Stadtteilen. |
Bei den Mietpreisen ist auffällig, dass die Entwicklung (zumindest im März 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat) nicht einheitlich ist. Es gibt Quartiere, in denen die durchschnittlichen Neuvermietungsmieten leicht rückläufig sind (so in Billstedt und St. Pauli), in anderen Stadtteilen sind sie dagegen teilweise sprunghaft angestiegen (vor allem in Rothenburgsort, Borgfelde/Hammerbrook und auf der Veddel). Diese Schwankungen rühren sicherlich auch daher, dass das Mietniveau in Hamburg insgesamt sehr hoch ist und weitere Mieterhöhungen auf Grenzen stoßen bei dem, was die Menschen im Portemonnaie noch zur Verfügung haben – und da gibt es natürlich beträchtliche Unterschiede zwischen, sagen wir, der HafenCity und Billstedt. Die größten Mietsprünge in den letzten zwei Jahrzehnten haben vor allem die Altstadt, aber auch Hamm und St. Pauli gemacht. Von der superteuren HafenCity mal ganz abgesehen, die aber auch erst vor wenigen Jahren dazu gestoßen ist.
Interessant ist auch das Bild bei den Bindungen, wobei in der Tabelle eine Konzentration auf Wohnungen des 1. Förderweges erfolgt, also auf die klassischen Sozialwohnungen. Auch hier ist das Bild nicht einheitlich, es ist halt davon abhängig, wann bestimmte geförderte Wohnungsbestände errichtet worden sind und wie lange dort die Bindungsfristen währ(t)en, andererseits von der Neubautätigkeit in dem betreffenden Stadtteil. Wegen der Bautätigkeit in der jüngsten Vergangenheit haben einige Quartiere sogar ein Plus an neu geschaffenen Bindungen (z.B. Hammerbrook, Borgfelde und Rothenburgsort, von der HafenCity einmal mehr abgesehen). Besonders bitter aber ist der Verlust von mietpreisgebundenen Wohnungen in den bevölkerungsstarken Stadtteilen Billstedt, Horn und Wilhelmsburg. Vielleicht lässt sich mit diesen Daten von den Stadtteilgruppen politisch arbeiten? Auch deswegen, weil wir in 2020 so viele auslaufende Mietpreisbindungen im 1. Förderweg haben (6.160) wie in Hamburg seit 2015 nicht mehr und so viele, wie in den kommenden Jahrzehnten nicht wieder.
Im Übrigen sei noch auf den Antrag der Linksfraktion verwiesen, in dem es um das Thema „Wohnungsverlust verhindern – Mieter-/-innenschutz in der Corona-Pandemie vorerst bis Ende 2020 verlängern!“, mithin um Forderungen geht, um der zusätzlich verschärften Krise auf dem Wohnungsmarkt einige Sofortforderungen entgegenzusetzen. Die betreffende Drucksache 22/383 vom 27. Mai 2020 findet sich im Netz unter https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/70493/wohnungsverlust_verhindern_mieter_innenschutz_in_der_corona_pandemie_vorerst_bis_ende_2020_verlaengern.pdf und ist von der Bürgerschaft zur weiteren Beratung immerhin schon mal in den Stadtentwicklungsausschuss überwiesen worden.
[1] Angaben laut Studie des Gymnasiums Ohmoor, veröffentlicht am 22.6.2020.
[2] Ebenda.
[3] Angaben laut Senatsantwort (Anlage 3) auf die Große Anfrage der Linksfraktion zum Komplex „Auslaufen und Neubegründung von Mietpreis- und Belegungsbindungen“ vom 3.7.2020 (Drs. 22/442).
[4] Angaben laut Senatsantwort (Anlage 2) auf die Große Anfrage der Linksfraktion zum Komplex „Auslaufen und Neubegründung von Mietpreis- und Belegungsbindungen“ vom 3.7.2020 (Drs. 22/442).
Keine Spekulation mit Wohneigentum
Die Mieten steigen, weil die Spekulation den Wohnungsmarkt erreicht hat: Das Kapital walzt durch die Städte. Nach der Finanzkrise und angesichts von niedrigen Zinsen suchen internationale Immobilienfonds und Finanzfirmen nach neuen Profitmöglichkeiten: Sie kaufen Mietshäuser und »modernisieren die Mieter heraus«: Die Bestandsmieten steigenimmer weiter, bei Neuvermietung oder Umwandlung in Eigentumswohnungen winken den Investoren große Gewinne. Die Krise auf dem Wohnungsmarkt braucht deshalb dringend entschlossene und schnell wirksame Maßnahmen. Es müssen Instrumente geschaffen werden, um überhöhte Mieten zu senken und Höchstmieten festzulegen.
Das folgende Lied von Uwe Everding-Böhm thematisiert die Wohnungsproblematik.